Ragazzi
, 2002 12: AM
Progressive Rock ist nicht totzukriegen. Zu Beginn der Neunziger Jahre wurde dieses verkaufshindernde Kriterium in der Rockmusik wiedergeboren, nachdem in den Achtzigern daran düstere Flaute herrschte. Zuhauf erschienen die Klassiker auf CD, vielleicht war dies ein Anstoß für Gestandene und Einsteiger, sich verstärkt dieser dynamischen und im besten Sinne vitalen und lebendigen Musikform zuzuwenden. Erst durfte der lyrische Neoprog noch vom Nachhall der Achtziger profitieren, bis Prog Metal sich durchkämpfte und NeoProg den Rang ablief. Nebenher entstanden so wundervolle Dinge wie Jazzrock, Avantgarde Rock und allerlei schräges Liedgut im weiteren Progressive Rock Umfeld. Prog Metal übersättigte sich selbst, vor allem am immensen, schier unzählbaren Ausstoß eher schlechterer Bands, die den guten Technikern der Szene das Leben schwer machten. Doch irgendwann brachen die Grenzen zum Jazzrock als weiterer Alternative auf. Immer mehr technisch hoch entwickelte Musiker empfahlen sich mit Alben - oh stop, da sind wir ja gerade erst! Rhythmuswechsel. Mindflowers aus Ungarn sind ein gutes Beispiel für Progressive Rock der jazzigen Spielart. Metalllastige Technik-Stückchen ufern in ausgeklügelte Improvisationen und gruppendynamische Instrumentalausflüge aus, deren Höhepunkte von wilder, virtuoser Komplexität markiert werden. Das handwerklich und technisch beeindruckend perfekte Quartett hat ein Händchen für Komposition und Arrangement, kein Wunder, sind sie doch alle Studenten an Musikhochschulen und der ungarischen Jazz-Universität. Jeder der vier Musiker, Balázs (b, stick), Zoltán (g), Gergely (dr) und Zsolt (key), haben eine bunte Seite im Booklet für sich, die sie mit Thank yous und anderem schmücken. Nettester Satz daraus von Zolt: Thanks for opening to me the exit from metal "music". Schön gesagt. Die Band hat immer noch kräftig metallisches Format, das etwas an Dream Theater, viel mehr jedoch an Liquid Tension Experiment erinnert. Da sitzt auch schon der hintergründige Jazz-Keim. Mindflowers gehen viel weiter und inszenieren einen ausgeklügelten Jazz-Fusion, der in seiner Komplexität und Vitalität überzeugend ist. Das rein instrumentale Album lebt in seinen 9 Stücken eine reichhaltige instrumentale Vielfalt aus, die kompositorisch absolut nicht hinkt. Die Arrangements sind fabelhaft, manchmal etwas dicht an genannten Liquid Tension Experiment gelagert. Drittes Standbein setzen Mindflowers auf "world-music". Ich nenne das eher ambientes New Age, Streicheleinheiten ohne besonders tiefen Kitsch, die nicht zu dicht gestreut sind und auch nicht allzuviel her machen. Diese lyrischen Ruhenotizen (erinnern schon mal an die ProjeXcts von King Crimson, Gordian Knot) stehen zwischen der dynamischen und schwer aktiven Rockakrobatik zum Luftholen bereit und bereiten den Boden für erneutes Ausbrechen der Band. Thank Yous II: etliche Musiker der JazzFusion und ProgMetal - Szene werden erwähnt. Die Inspiration ist umfangreich. Die bandeigene Inspiration braucht sich dahinter längst nicht zu verstecken. Dieses kraftvolle, lebendige und beeindruckend komplexe Werk ist ein Höhepunkt im progressiven Geschehen. Mindflowers haben gerade erst angefangen. Da ist ordentlich Potenzial.
Volkmar Mantei
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